Wir müssen reden.

Interview mit Alex Ranner, Regisseurin von „not just sad.“ und Leitung der Dramatischen Gestalten, über Theater, mentale Gesundheit und warum wir reden müssen.

Wie sind die Dramatischen Gestalten entstanden?

Ich habe die Gruppe im Jahr 2013 mit anderen Ehemaligen des Carl-Orff-Gymnasiums gegründet. Davor hatten wir uns zwar auch schon immer wieder getroffen – hauptsächlich für Impro –, der Entschluss zu einem Stück kam dann aber erst, nachdem wir die Aufführung von „Die Frau von früher“ des Oberstufenkurses am COG angesehen hatten.

Foto von Karina Garosa

Wie sehen die Dramatischen Gestalten heute aus?

Heute sind wir eine bunt gemischte Gruppe von etwa 25 Personen, 18 bis 31 Jahre alt, die über verschiedenste Wege in die Gruppe gekommen sind. Wir lassen die Dramatischen Gestalten gerade als Verein eintragen. Darauf bin ich sehr stolz, da ich und alle anderen viel Arbeit reingesteckt haben und der Verein unseren Bestand sicherer macht.

Wie hast du Cast und Crew für „not just sad.“ zusammengestellt?

Maggi (Kellermann) habe ich bereits weit im Voraus gefragt, ob sie mit mir Regie führt, weil ich von Anfang an wusste, dass ich sie an meiner Seite brauche. Sie ist nicht nur eine meiner wichtigsten Bezugspersonen, sondern auch eine wichtige Stütze in der Gruppe.

Der Cast hat sich dann quasi selbst zusammengestellt. Ich habe alle Mitglieder der Dramatischen Gestalten angerufen, um sie zu fragen, ob sie Zeit zum Spielen haben und vor allem, ob sie spielen möchten, da das Thema Depressionen doch kein einfaches ist.

Zehn Leute, inklusive Maggi und mir, werden das Stück spielen, dazu kommen unsere großartigen Techniker! Der Rest der Dramatischen Gestalten hilft uns, wo er kann.

„not just sad.“ ist die mittlerweile sechste Produktion, in der du die Leitung übernimmst. Bisher waren es überwiegend Komödien. Was hat dich dazu bewegt, dich der ernsten Vorlage „4.48 Psychose“ anzunehmen?

Ich habe das Stück „4.48 Psychose“ zum ersten Mal 2010 auf einem Theaterfestival gesehen. Die Mitglieder der Gruppe haben weite Teile des Stücks abgelesen. Ich dachte mir erst: „Das kann nicht ihr Ernst sein!“. Trotzdem haben sie mich mitgerissen und ich meinte danach noch scherzhaft „Ich brauch‘ jetzt erstmal Therapie.“. Das Stück war bewegend, weil es aus meiner Sicht etwas Rohes und tiefgreifend Menschliches hat, das man heute nur noch selten sieht. Auch die Ehrlichkeit über die Gedankengänge in jemanden, der mit psychischen Krankheiten wie Depressionen zu kämpfen hat, haben mich fasziniert.

Wie stehst du selbst zum Thema Depressionen?

Das könnte jetzt länger werden… Ich bin jetzt 27 Jahre alt und etwa 15 Jahre davon habe ich mit Depressionen gelebt. Ich hatte zunächst „nur“ eine leichte Form der Depression: Dysthymie, umgangssprachlich auch „High Functioning Depression“ genannt. Ich habe also funktioniert. Ich habe gute Noten geschrieben, habe fleißig Sport gemacht, später dann eben auch Theater gespielt, studiert, gearbeitet… von außen war alles normal. Ich habe erst später gemerkt, wie ungesund meine Gedanken und Gefühle waren. Ich habe mich ständig schlecht gefühlt, war oft grundlos traurig oder wütend, hatte nahezu kein Selbstwertgefühl, trotz meiner Fähigkeiten. Und das 13 Jahre lang. Aber ich habe funktioniert, weswegen leider niemand – inklusive mir selbst ­– auf die Idee gekommen ist, mich zu einem Therapeuten zu schicken.

Mitte 2015 wurde es dann richtig schlimm, ich bin in eine schwere Depression gerutscht. Ich lag tagelang im Bett, habe kaum noch mit jemandem gesprochen oder das Haus verlassen… und wenn doch, dann saß ich apathisch in der Ecke, selbst an Weihnachten. Ich habe fast meinen kompletten Freundeskreis verloren. Nur meine Familie und eine Handvoll Freunde standen mir tapfer bei, wofür ich ihnen unendlich dankbar bin. Mit der zusätzlichen finanziellen Hilfe meiner Eltern bin ich dann zum Glück schnell an eine fantastische Therapeutin geraten, mit deren Hilfe ich seit Frühling 2017 endlich wieder mental gesund und stabil bin.

Wie haben sich deine Erfahrungen in das Stück übertragen lassen?

Ich habe in der Zeit der Depression einige Texte zum Thema geschrieben, die ich in das Stück eingebaut habe. Außerdem ist jeder Textteil der Vorlage, den ich in unser Stück eingebaut habe, nochmal durch meine Hände gegangen, um meine persönliche Geschichte mit der von Sarah Kane verschmelzen zu lassen, was durch häufige Überschneidungen in der Symbolik an vielen Stellen einfach fällt. Auch verschiedene Thematiken, wie körperliche und seelische Schmerzen, unfähige Ärzte, schwerwiegende Einsamkeit oder das übermannende Unverständnis der Außenwelt für die Krankheit finden sich in Kanes und meinen Texten wieder.

Wie sieht dein Konzept für die Inszenierung aus?

Ich habe das Stück bereits dreimal im Theater gesehen, zweimal davon war ich zutiefst enttäuscht. Die Texte wurden ins Verstörende gezogen, einmal trugen die Schauspieler riesige weiße T-Shirts und waren extrem blass geschminkt, so wie man sich psychisch Kranke klischeehaft vorstellt.

Ich wollte davon so weit wie möglich Abstand nehmen. Wir werden in unserer Alltagskleidung spielen, die einzige Requisite sind rote Seile. Die Musik von Illusive Light wird eine wichtige Rolle spielen. Auch werden wir die Bühne nie verlassen, sondern das Stück immer gemeinsam durchleben. Es soll eine Inszenierung werden, die den Zuschauer mitnimmt, anstatt ihn vor den Kopf zu stoßen. Wir werden so ehrlich in unserem Spiel sein wie es auch die Vorlage ist.

Du arbeitest gerne mit viel Musik in deinen Stücken. Wie kamst du gerade dazu, das Album „Insight“ von Illusive Light zu verwenden – und dann auch noch komplett?

Ich bin mit Ludwig (Böss) seit vielen Jahren befreundet und bin dadurch auf seine Band Illusive Light gestoßen. Das Album wurde während der schwersten Phase meiner Depression veröffentlicht, in der ich für wenige Dinge Begeisterung finde konnte. Bei „Insight“ war das anders. Die Musik ist sehr durchdacht und alles greift nahtlos ineinander über. Sie blieb mir im Kopf und ich hatte seitdem die fixe Idee, das Ganze in ein Stück einzubauen. Normalerweise wähle ich nur einzelne Musikabschnitte fürs Theater aus, bei „Insight“ war ich mir aber sicher, dass ich das Album vollständig verwenden möchte. Die einzelnen Titel bauen unglaublich intelligent aufeinander auf und sind trotzdem so individuell, dass sie ganz unterschiedliche Szenen problemlos mittragen und unterstützen können. Eines Nachts hatte ich dann den Geistesblitz, das Album und „4.48 Psychose“ zusammenzubringen. Am nächsten Morgen habe ich Ludwig geschrieben, ob ich ihre Musik verwenden dürfe. Vier Stunden später hatten alle – mittlerweile auf der ganzen Welt verstreuten – Bandmitglieder zugestimmt.

Wie geht der Cast an das Stück heran?

Die Schauspieler haben während „Des Bettlers Oper“ schon viel Vertrauen zueinander aufgebaut, was sich in den Proben widerspiegelt. Es gehen alle offen und respektvoll miteinander und mit dem Text um, wodurch die Zusammenarbeit problemlos funktioniert. Emotional kann es manchmal schwierig werden, aber dann machen wir eine Pause und reden darüber. Auch muss niemand Texte spielen, die ihm oder ihr zu nahe gehen. Mir ist es wichtig, dass sich jeder wohl fühlt und seinen Platz im Stück findet. Wir probieren unterschiedliche Richtungen aus, entwickeln eine Menge Szenen aus Übungen heraus und legen auch die Choreografie an vielen Stellen nicht zu 100% fest, sondern lassen die Bilder und Momente jedes Mal neu entstehen, sodass wir und die Zuschauer auf eine gemeinsame Entdeckungsreise durch das Stück gehen.

Warum sollte man sich „not just sad.“ ansehen?

Die rohe Menschlichkeit und der natürliche Umgang mit der Depression ist das, was dieses Stück so spannend für den Zuschauer und uns macht. Das Thema mentale Gesundheit geht uns alle an. Jeder ist entweder selbst betroffen oder kennt jemanden, der an Depressionen erkrankt war, ist oder es irgendwann in seinem Leben sein wird. Leider. Und trotzdem sprechen wir so gut wie nie darüber. Mir ist das erst so richtig aufgefallen, als ich angefangen habe über meine Situation zu reden und mir plötzlich von allen Seiten ähnliche Geschichten erzählt wurden, die davor unter den Teppich gekehrt wurden. Wir müssen also mehr miteinander reden. Und wir machen mit „not just sad.“ einen Anfang, zu dem wir alle herzlich einladen.

Die Aufführungen zu „not just sad.“ finden am 10./11./12. Januar um 19:30 Uhr im Gleis 1 statt.

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